Die letzte Runde auf dem Karussel
Seit April diesen Jahres begleite ich eine Frau, die etwas älter ist als ich – Eli. Sie hat COPD, eine lebensverkürzende Lungenerkrankung. Das ist ihre letzte Runde.
Eine Freundin von Eli hatte mich gebeten, sie im UKM (Unfallkrankenhaus Murnau) zu besuchen. Eli sei mit ihrer Situation überfordert, auch weil ihr Mann, der an Demenz erkrankt ist, nun alleine zu Hause sei.
Ich besuche Eli zum ersten Mal, sie sitzt im Bett. Schmal und mager, mit einem Sauerstoffschlauch unter der Nase. So kann sie einigermaßen entspannt atmen. Sie schildert mir ihre Situation, erzählt, was sie bedrückt und dass sie sich um ihren Mann sorge. Gemeinsam überlegen wir, was für sie wichtig sei und welche Möglichkeiten es für ihren Mann gäbe. Wir vereinbaren, dass sie mich jederzeit anrufen könne und am Abend bekomme ich diese Nachricht von ihr:
„Hallo liebe Frau Rösch, es hat mich sehr gefreut, Sie heute getroffen zu haben! Wir bleiben in Kontakt, ja? Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend!“
Nach dem Aufenthalt in einer Lungenfachklinik, schreibt sie mir Ende April, dass sie wieder zuhause, ihr Mann jetzt im Heim sei und sie auch dorthin solle. „Verstand sagt okay, Herz kommt aus der Trauer gar nicht mehr raus….“
Gleich rufe ich sie an und mir wird sehr schnell klar, dass Heim keine Option für Eli ist. Dort müsste sie in die Tagesbetreuung gehen. Jeden Tag mit den gleichen Menschen im gleichen Raum, keine Möglichkeit, den Tag für sich passend zu gestalten. Dafür ist sie viel zu wach, mobil und aktiv, trotz ihrer Krankheit.
Von unterschiedlichen Seiten bekommt Eli Hilfe, sodass sie mit einer Pflegerin zuhause bleiben kann. Wir bleiben über Whatsapp in Kontakt und eine Zeitlang geht es ihr den Umständen entsprechend gut.
Atmen
Mitte Juli schreibt sie mir auf meine Frage, wie es ihr gehe: „Hallo, schwer darauf zu antworten. Ich wünsche so sehr, sanft sterben zu dürfen. Aber noch ich muss ich mich kraft-und atemlos durch die Tage und Nächte kämpfen. Schrecklich, so etwas zu schreiben, ich weiss.“
Mich berührt ihre Ehrlichkeit und ich schlage ihr vor, dass ich, als ausgebildete Atemtherapeutin, regelmäßig zu einer Atembehandlung komme, denn ich weiß, sie ist zu bescheiden, um darum zu bitten.
Dieses Angebot freut sie und sie meint darauf: „Ja sehr gerne würde ich einen Besuch von dir haben, wenn du meine Trostlosigkeit aushalten kannst.“
Das konnte und kann ich und so fahre ich einmal wöchentlich zu ihr. Ihr Befinden ist sehr unterschiedlich. Der Wechsel der Pflegerinnen und die Hitze des Sommers machen ihr zu schaffen. Meine Behandlungen tun ihr gut und erfüllen sie mit tiefer innerer Ruhe. Ein Palliativ-Team betreut sie zusätzlich und sie bekommt andere Medikamente, sodass sie streckenweise ohne Sauerstoffzufuhr sein und wieder in der Küche beim Kochen helfen kann.
Hin und wieder besucht sie ihren Mann im Pflegeheim. Er erkennt sie kaum noch und sie ist beruhigt zu sehen, dass es ihm gut geht.
Wir machen mit den Behandlungen weiter und jedesmal wieder erstaunt auch mich deren Wirkung auf ihr Atemgeschehen. War es zu Beginn kurz, ganz oben im Brustkorb, mühsam und schnell, so ist es nach den Behandlung tiefer, ruhig und fließend. Der Sauerstoffschlauch ist dann nicht mehr nötig.
Mitte August erlebe ich Eli sehr kurzatmig und auch deshalb im Stress. So fangen wir gleich mit der Behandlung an. Langsam kommt Ruhe ins System, ihr Atem wird ruhiger, tiefer, ihre Gesichtszüge entspannen sich. Nachdem ich zum Ende gekommen bin, setzt sie sich auf: „Es ist ein Wunder“ meint sie, „was du machst. Früher war das Atmen so selbstverständlich für mich. Bergauf, bergab mit dem Hund durch die Wiesen und Flüsse. Einfach da und mühelos. Weißt du, seit meiner Krankheit beobachte ich Menschen, die ihren Atem so selbstverständlich nehmen. Wenn ich so atemlos bin, dann bricht meine ganze erlernte Ruhe und Gelassenheit zusammen und nicht nur mein Körper, auch meine Seele hat Stress.“ Logisch, ohne Atem kein Leben.
Kurz vor meinem Urlaub besuche ich Eli erneut. Ihre Lieblingspflegerin ist jetzt bei ihr. Es geht ihr schlecht und eine Ärztin aus dem Palliativ-Team zeigt ihr, wie sie sich ihr Morphium selbst geben kann. Anschließend erzählt Eli mir, an welchem Punkt in ihrem Leben sie sich selbst nicht treu geblieben ist. Aber sie hat`s für ihren Sohn getan. Gefragt, ob sie sich nochmal so entscheiden würde, sagt sie nein. Etwas zögerlich, weil sie weiß, dass er dann ein ganz anderes Schicksal gehabt hätte. Dieses Erkennen versöhnt sie auch ein Stück weit mit ihrer Entscheidung. Erstaunt stellt sie fest, dass sie nie ein festes Ziel in ihrem Leben gehabt hat. Sie hat eher aus dem Moment heraus gelebt.
Elis letzte Runde
Für meinen Urlaub leiht sie mir das Buch von Tiziano Terzani „Noch eine Runde auf dem Karussel“. Ein Buch über Leben und Sterben. Noch bin ich nicht fertig damit, aber ich mag es sehr. Als ich noch im Urlaub bin, habe ich am 05. September plötzlich den starken Impuls Eli ein paar Bilder zu schicken. Vom Meer und vom Füchslein, die sie so liebt.
Am 12.09.2018 fahre ich wieder zu ihr. Ihre Lieblingspflegerin ist da und ihr Sohn. Sie sortierten Dinge in blaue Müllsäcke. Eli ist am 05.09.2018 gestorben, hat ihre letzte Runde beendet
Mir kommen die Tränen und fehlen die Worte. Mit einer warmen Umarmung verabschiede ich mich von Elis Sohn und ihrer Pflegerin. Traurig fahre ich nach Hause, ich werde Eli vermissen.