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    Abschied, Endgültig, Psychologie-Trauer, Trauer, Verlust

    Der Tod der anderen

    Jedes Jahr verlieren Millionen Deutsche einen geliebten Menschen. Die einen können den Verlust allein bewältigen, die anderen brauchen Unterstützung. Wann ist Hilfe nötig?
    Von Alenxandra Drescher,  11. Oktober 2011, 8:00 Uhr ZEIT Wissen Nr. 6/2011
    https://www.zeit.de/zeit-wissen/2011/06/Psychologie-Trauer/komplettansicht

    Der Anruf kam unerwartet. Eigentlich hatte Herbert Harnacke bis zum Schluss gehofft, dass irgendwie alles wieder gut werden würde. Doch jetzt musste er mit seinen drei Töchtern ins Hospiz fahren – an jenen Ort, an dem seine Frau die vergangenen Wochen verbracht hatte. Sie hatte den Kampf gegen den Krebs endgültig verloren. Zwei Tage lang nahmen die vier Abschied von der Toten. »Sie sah wunderschön aus«, erinnert sich Harnacke. Heute, viereinhalb Jahre später, hallt das Lachen der Kinder durchs Haus. Und der Vater ist kein gebrochener Mann, sondern strahlt Zuversicht aus. »Natürlich war das alles schlimm. Und ich liebe meine Frau noch immer«, sagt der 48-Jährige. »Aber das Leben geht weiter.«

    Auch Karin Meißner* war überrascht von dem Anruf. Auch sie hatte bis zum Schluss gehofft. Dann fuhr sie mit ihrem Sohn ins Krankenhaus, wo ihr Mann vergebens versucht hatte, dem Krebs zu trotzen. Im Aufbahrungsraum der Klinik konnten sie gerade mal eine Viertelstunde lang Abschied von ihm nehmen. Und noch heute, fünf Jahre später, denkt Karin Meißner wehmütig an den Mann zurück, mit dem sie über ein halbes Jahrhundert zusammen war. »Wir haben immer alles gemeinsam gemacht«, sagt die 70-Jährige. »Eigentlich war uns klar: Keiner soll allein zurückbleiben – wenn, dann gehen wir beide.« Der schmerzliche Verlust quält sie noch heute, bis vor Kurzem war er stets gegenwärtig.

    Warum reagieren Menschen so unterschiedlich auf seelisches Leid? Warum fallen die einen um, warum geraten die anderen nur ins Wanken? Wie können Freunde helfen – und was kann man selbst für sich tun?

    Jahr für Jahr sterben mehr als 850.000 Menschen in Deutschland. Der Tod bricht in ihre Familie ein und raubt den Angehörigen einen geliebten Menschen: die Mutter, den Vater, Geschwister, das Kind oder den Partner. Es ist der Augenblick, der das Leben für viele in ein Davor und ein Danach teilt. In dem plötzlich nichts mehr so ist, wie es war. Der Alltag gerät dabei manchmal aus den Fugen, der Glaube an eine Zukunft schwindet. Viele der Hinterbliebenen sind erst mal überwältigt von Angst, Wut, Verzweiflung – und dennoch bleiben die meisten allein mit ihrem Leid.

    »Früher hat die Gesellschaft den Einzelnen in solchen Momenten gestützt, heute ist das Trauern eine individuelle Angelegenheit geworden«, sagt der Berner Psychologe und Trauerforscher Hansjörg Znoj. Bei einer Umfrage des Bundesverbandes Deutscher Bestatter beklagten vor Kurzem 67 Prozent der Befragten, dass die Öffentlichkeit das Thema Tod verdränge. In vielen Kulturen ehren die Menschen ihre Toten bis heute mit aufwendigen Zeremonien, an denen vom Kind bis zum Greis die gesamte Dorfgemeinschaft teilnimmt. In Deutschland und der westlichen Welt hingegen ist der Tod im Alltag nicht mehr präsent.

    Schwarze Kleidung erinnert nicht mehr an einen Verstorbenen, sondern wurde zum Modetrend; das Trauerjahr hat ausgedient und viele Menschen verzichten auf Kondolenzbesuche, weil sie mit dem Tod nicht umgehen können. Geblieben ist die Beerdigung als letztes Ritual, das den Hinterbliebenen den Abschied leichter machen kann. Und manch einer, der mit Kirche und Glauben nie viel zu tun hatte, erinnert sich in solch einer existenziellen Situation plötzlich daran, wie hilfreich eine christliche Zeremonie sein kann.

    »Sehr häufig bitten Angehörige um eine kirchliche Beisetzung, selbst wenn der Verstorbene ausgetreten war«, sagt Jan von Campenhausen, Pfarrer im Kirchenamt der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD). Meist werde dem Wunsch entsprochen, den Hinterbliebenen zuliebe, denen man Trost und Hoffnung geben wolle. Campenhausen weiß: »Menschen in schwierigen Situationen brauchen einen verlässlichen Ritus, und die Kirche steht für das Hoffen über den Rand des Grabes hinaus.«

    Bei der Beerdigung zeremoniell Abschied zu nehmen ist ein erster Schritt, das eigentlich Unfassbare zu realisieren: den Tod. Wer einen wichtigen Menschen verloren hat, muss sein Leben neu ausrichten. Das braucht Zeit – mal mehr, mal weniger. Die Mehrheit der Hinterbliebenen erholt sich bereits nach einigen Wochen. Es gelingt ihr, mit der Traurigkeit umzugehen. Trotz des schmerzlichen Verlustes verlieren diese Menschen nicht den Boden unter den Füßen, können den Alltag wie üblich bewältigen. Ihre Trauer durchläuft meist vier Phasen, stellt Verena Kast fest; die Professorin lehrt an der Universität Zürich sowie am dortigen C. G. Jung-Institut und ist Vorsitzende der Internationalen Gesellschaft für Tiefenpsychologie.

    Die vier Phasen der Trauer

    Im ersten Moment bewirkt der Tod des geliebten Menschen oft eine Art Schockzustand, der stunden- oder tagelang anhalten kann. Der Trauernde kann nicht fassen, was geschehen ist, und fühlt sich wie erstarrt. In dieser Phase braucht er womöglich jemanden, der ihm ganz praktisch beim Erledigen alltäglicher Aufgaben hilft. Anschließend brechen meist die Emotionen auf. Der Hinterbliebene wird überwältigt von Gefühlen wie Angst oder auch Wut und sucht verzweifelt nach einer Erklärung für den Verlust, den er erleiden musste. In diesem Gefühlschaos braucht er vor allem jemanden, der einfach nur zuhört.

    Irgendwann beruhigen sich üblicherweise die überbordenden Gefühle, doch in vielen kleinen Situationen des Alltags fühlt sich der Trauernde an den Verstorbenen erinnert – und muss sich immer wieder bewusst machen, dass es den schmerzlich vermissten Menschen nicht mehr gibt. Diese Phase, die Kast die des Suchens und Sich-Trennens nennt, kann Wochen, aber auch Jahre dauern. Sie erfordert vom Umfeld Geduld und Nachsicht, weil sich vieles im Kreis zu drehen scheint. Erst wenn sich das Suchen abschwächt, öffnet sich der Blick für die Zukunft: Der Trauernde beginnt, die Welt und sich selbst neu zu entdecken. Möglich ist, dass ihm die Helfer früherer Phasen dabei sogar als Hindernis erscheinen – und er nach neuen Freunden für ein neues Leben sucht.

    Trauern funktioniert nach keinem Schema

    Schematisieren lässt sich der Prozess der Trauer allerdings nicht. Nicht jeder Mensch erlebt das Abschiednehmen in gleicher Weise und schon gar nicht nach dem gleichen Zeitplan. Und auch die Voraussetzungen, den Verlust endgültig zu verkraften, sind unterschiedlich. Das stellte der Psychologe und Traumaforscher George A. Bonanno fest, der an der Columbia University in New York lehrt. Er hat herausgefunden, dass es rund zehn Prozent der Hinterbliebenen langfristig schwerfällt, mit dem Tod eines engen Angehörigen fertig zu werden. Sie erleben, was Psychologen eine »komplizierte Trauer« nennen. Sie quälen sich jahrelang und sehnen sich dauerhaft nach dem Verstorbenen.

    Weitere zwanzig Prozent leiden ebenfalls stark – mit dem Unterschied, dass sie nach einigen Monaten wieder wie früher wirken. Dass sie irgendwie funktionieren, obwohl sie innerlich immer noch sehr verletzt sind. Sie alle können Hilfe brauchen.

    Herbert Harnacke wusste nach dem Tod seiner Frau sofort, dass er es nicht allein schaffen würde, das Geschehen zu verarbeiten. Tagsüber arbeitete er zwar, als sei nichts geschehen, und abends kümmerte er sich um seine kleinen Töchter. Doch nachts, wenn im Haus alles still war, konnte er kaum schlafen. Seine Gedanken kreisten immer wieder um die Frage: Wie kann es weitergehen? Also suchte Herbert Harnacke Unterstützung. Er sprach mit Psychologen, ging mit seinen Kindern zu Trauerseminaren, machte mit ihnen eine Kur und tauschte sich über das Internetforum verwitwet.de mit anderen Hinterbliebenen aus.

    Nach einigen Wochen gestaltete er das Schlafzimmer um. »Die Kinder wollten überall ein Bild von ihr stehen haben«, erinnert er sich. »Aber ich brauchte zumindest einen trauerfreien Raum.« Fragt man ihn, wie intensiv seine Trauer jetzt noch ist, zeigt er auf den Küchentisch: »Anfangs nahm sie die Hälfte der Platte ein. Heute hat sie sich in eine Ecke zurückgezogen, die mal größer, mal kleiner wird. Sie ist ein Teil meines Lebens.« Aber sie dominiert seinen Alltag nicht mehr.

    Tatsächlich geht es bei der Trauer nicht darum, etwas hinter sich zu lassen oder abzulegen wie einst die schwarze Kleidung nach dem Trauerjahr. Als Prozess dient sie dazu, den Schmerz zu verarbeiten. Das kann schneller gehen oder mag auch langsamer gelingen. »Die Zeit ist kein Kriterium«, sagt der Berner Psychologe Znoj. »Und jeder trauert anders.«

    Manche brauchen nur ein paar Monate dafür, den Verlust zu bewältigen, andere Jahre. Einigen Menschen helfen Grabbesuche oder Gebete; manche machen alles mit sich allein aus, vielen helfen Gespräche. »Wichtig ist allein, dass die Hinterbliebenen den Blick dabei nach innen richten, den Verlust akzeptieren, ihre Beziehung zum Verstorbenen verändern und dadurch wieder nach vorne schauen können«, sagt Rita Rosner, Trauerforscherin und Psychologin an der Katholischen Universität Eichstätt.

    Besonders gut gelingt das Menschen, die über genügend Resilienz verfügen. So bezeichnet man die seelische Widerstandskraft, die selbst in schwierigen Situationen Halt gibt; das Wort ist aus dem lateinischen »resilire« für zurückfedern abgeleitet. »Resiliente Menschen können sich neuen Umständen gut anpassen. Sie erstarren nicht dauerhaft in ihrer Trauer, sondern stellen nach einer Weile die emotionale Balance wieder her. Sie haben eine entsprechende Persönlichkeitsstruktur«, sagt Karena Leppert vom Institut für psychosoziale Medizin und Psychotherapie der Uniklinik Jena. »Sie haben Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten und fühlen sich nicht als Spielball des Schicksals. Auch bei Belastungen können sie dem, was geschehen ist, einen Sinn geben. Und sie suchen für sich Erfahrungen und Beziehungen, die ihnen guttun.« Sie empfinden und handeln wie Herbert Harnacke, der Sätze sagt wie: »Ich habe mich nie als Opfer gesehen.« Oder: »Ich musste aktiv werden.«

    Es braucht viel seelische Stärke, um zu akzeptieren, was wir nicht ändern können, und die eigenen Kräfte nicht im Hadern zu vergeuden. Resiliente Menschen können, wie der amerikanische Wissenschaftler Bonanno feststellt, selbst unter den widrigsten Umständen auch Momente der Freude erleben.

    Denjenigen, die in eine komplizierte Trauer verfallen, gelingt das nicht. Sie versinken in ihrem Leid und hadern. Weil sie den Verlust der geliebten Person nicht annehmen können, sind sie dauerhaft im Alltag eingeschränkt. Sie leiden extrem, ziehen sich zurück und haben das Gefühl, dass das Leben keinen Sinn mehr hat. Manchen Hinterbliebenen gelingt es einfach nicht, sich aus eigener Kraft aus dieser Abwärtsspirale zu befreien. Andere fühlen sich geradezu verpflichtet, lange zu leiden – etwa, wenn sie Jahrzehnte mit dem Verstorbenen zusammen waren. »Viele glauben: Wenn es mir schnell wieder gut geht, ist die Beziehung nichts wert gewesen«, sagt Rita Rosner.

    Komplizierte Trauer kann viele Ursachen haben. Sie kommt vor bei Menschen, die in ihrer Beziehung zum Verstorbenen zu wenig Eigenleben entwickelt haben – die nicht wussten, was sie selbst wollten, und kein soziales Netz besaßen. Auch wer bereits psychisch erkrankt war oder in der Kindheit keine sicheren Bindungen erleben durfte, ist gefährdet. Zudem kann die Art des Todes bewirken, dass die Angehörigen in der Trauer versinken: Wenn er plötzlich hereinbrach, etwa durch einen Unfall, und sie vom Sterbenden nicht Abschied nehmen konnten, ist die Gefahr größer, dass der Schmerz anhält.

    Auch Karin Meißner fühlte sich vom Tod überrumpelt. Als ihr Mann ins Krankenhaus kam, wusste sie nicht, wie schlimm es um ihn steht. »Er sagte nur ›Das wird behandelt‹ und verriet nichts über seinen wirklichen Zustand.« Er wollte wohl verhindern, dass sie sich Sorgen machte. Die Viertelstunde, die ihr dann im Krankenhaus für den unerwarteten Abschied von dem Toten blieb, reichte dann einfach nicht.

    Heute, fünf Jahre später, steht sie immer noch im inneren Dialog mit ihrem verstorbenen Mann. »Ich weiß, dass er tot ist«, sagt Karin Meißner. »Aber ich hätte ihn so gern zurück. Ich fühle mich allein ohne ihn.« Einerseits denkt sie täglich daran, was er wohl in dieser oder jener Situation getan hätte. Andererseits fürchtet sie die Erinnerung an die gemeinsame Zeit. Sie hört keine CDs mehr, »denn das ist alles unsere gemeinsame Musik«. Und wenn im Fernsehen eine Sendung über Italien kommt, schaltet sie ab: »Dort haben wir immer schöne Urlaube verbracht.«

    Komplizierte Trauer ist heilbar. Psychologen haben verschiedene Therapien entwickelt. Und wer um die Risikofaktoren weiß, kann vorsorgen. Viele Resilienzforscher meinen, dass sich die seelische Widerstandskraft, mit der wir Krisen überwinden, sogar noch im Erwachsenenalter gezielt fördern lässt: indem wir in uns hineinhorchen und unsere Bedürfnisse ergründen, uns mit Menschen umgeben, die uns guttun, und Aufgaben suchen, die befriedigen. Karin Meißner ist auf dem Weg dorthin: Vor Kurzem ist sie umgezogen und hat die neue Wohnung nach ihren Vorstellungen ausgebaut. In den Sommerferien waren ihre Enkel fast jeden Tag bei ihr. Dass sie von ihrer Familie gebraucht werde, sagt sie, gebe ihr Kraft. So hat sie sich nun doch getraut und einen Urlaub gebucht – Italien. Mit ihrem Bruder und der Schwägerin. Und sie zweifelt: Wie es wohl werden wird – ohne ihn? Doch es ist ein Anfang. Es scheint zu beginnen – ihr Leben nach dem Tod.

    * Name von der Redaktion geändert

     

    4. Juli 2018/von chroesch
    Schlagworte: Partner, Tod, Trauerbewältigung, Verlust
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